Montag, 21. September 2015

Ja sagen ist schön

Ich bin frisch zurück von einem Zeltlager mit anderen polyamoren Menschen, einem schönen Wochenende voller neuer Eindrücke - und damit auch voller Ideen für neue Blogartikel. Ich starte jetzt mal den ersten Versuch, ein einzelnes Thema herauszugreifen, denn irgendwo muss ich ja anfangen.

"Consent is sexy" schreiben viele Aufklärerinnen, wenn sie mit Infokampagnen gegen die verbreitete Respektlosigkeit in unserer Kultur vorgehen.
Und ich fand diesen Spruch immer irgendwie seltsam. Konsens ist in erster Linie mal ein ethischer Grundsatz. Da geht es um respektvolles Verhalten, also darum, keine Grenzen zu verletzen. Ob es sexy ist spielt keine Rolle, es ist einfach eine ethische Pflicht, auf Konsens zu achten. Auch dann, wenn es absolut unsexy erscheint und eher unbequem und nervig ist.
In den letzten Tagen habe ich dazu einen neuen Gedanken erlebt. Ob Konsens nun tatsächlich "sexy" ist, kann ich wohl nicht so ganz beurteilen. Aber ich kann zumindest sagen: Konsens kann sehr schön und... hmm... leidenschaftlich sein.
Und ist sowieso auch fast ein unabdingbares Kriterium, damit ich einen Menschen überhaupt attraktiv finden kann (zumindest wenn es um mehr als nur ästhetische Anziehung geht). Aber das war mir ja auch schon vorher klar.

Für alle, die nun gar nicht wissen, wovon ich eigentlich rede: Konsens bedeutet in diesem Zusammenhang die Absicht und die Praxis, die Grenzen anderer Menschen zu erkennen und zu achten - was umso wichtiger ist, je mehr Intimität man miteinander teilt. Also im Prinzip einfach respektvolles Verhalten.

Und um das auch ohne Gedankenlesefähigkeiten hinzukriegen, muss man halt öfter mal nachfragen, ob der andere Mensch einverstanden ist, bevor man irgendeine Intimität "tut".
Was emotionale Intimität angeht, ist das einigermaßen allgemein üblich: Kaum jemand würde wohl das Tagebuch eines anderen Menschen lesen, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Auch bevor man eine sehr persönliche Frage stellt, wird oft nachgefragt, ob man sie überhaupt stellen dürfe (was ich manchmal sogar schon übertrieben finde).
Was körperliche (sinnliche und sexuelle) Intimität angeht, wird Konsens hingegen in der Allgemeinheit oft nur für Extremfälle diskutiert: da geht es dann zum Beispiel darum, wie man sowas vor Gericht beweisen kann, wenn man wegen sexualisierter Gewalt angeklagt wurde.
Aber im Alltag geht es ja selten um Extreme, und auch auf "niedriger" Stufe ist Konsens sehr wichtig. Also wenn ich jemandem irgendwie näher kommen möchte, dann achte ich darauf, dabei keine Grenzen zu übertreten. Und um zu wissen, wo die Grenzen sind, muss ich eben nachfragen.

Nachfragen muss aber, entgegen mancher Befürchtungen, längst nicht immer mit Worten geschehen. Ich zum Beispiel rede zwar gerne und viel, aber bei solchen Fragen würde es sich trotzdem oft sperrig, holprig, oder peinlich anfühlen, einfach direkt zu fragen. Irgendwie zu plump, und wenn dann eine Ablehnung kommt, fühlt die sich mit Worten auch sehr hart an. Aber es gibt ja auch noch andere Arten der Kommunikation. Und so kann ich zum Beispiel, wenn ich jemanden berühren, aber nicht mit Worten nachfragen möchte, mich eben ohne Worte ganz langsam herantasten. So langsam, dass derjenige genug Zeit hat, um einzuschätzen, was ich vorhabe, und um gegebenenfalls entweder auszuweichen, abzuwehren, oder eben auch auf mich zuzukommen und mir so ohne Worte ein "ja" auszudrücken. So unpraktisch ich eine Rolltreppe der Intimität in großen Zusammenhängen finde, so praktisch ist sie im Kleinen, wenn es nicht um Tage oder Monate geht, sondern um Sekunden.

Die große Mehrheit aller sinnlich intimen Handlungen, die ich im Alltag erlebe, werden auf nonverbale Weise "ausgehandelt". Es erfordert nicht nur weniger Mut, sondern vor allem auch weniger Zeit, denn ich kann ja nicht ständig mit Worten nach allem fragen, sonst hätte ich kaum noch Zeit, über irgendetwas Anderes zu reden.
Wenn dann mal eine Reaktion nicht eindeutig genug ist, oder es um ein komplizierteres Thema geht, oder bei Dingen, die man nicht langsam und vorsichtig machen kann, dann frage ich mit Worten - und wenn es dann plump oder sperrig oder peinlich ist, muss ich das eben aushalten. Manchmal frage ich auch allgemein nach, oder ermutige mein Gegenüber, mir Bescheid zu sagen, falls ich irgendwie zu weit gehe. Einfach, um sicher zu gehen, weil nonverbale Kommunikation halt auch mal schiefgehen kann.

Und da ich schon sagte, ich habe einen neuen Gedanken gedacht, kommt jetzt die Situation, die mir den neuen Gedanken beschert hat:

Mit beim Zeltlager war ein* Mensch, den ich quasi von Anfang an (ästhetisch, sinnlich und auch emotional) attraktiv fand. Wir haben uns viel unterhalten und gut verstanden, und auch einige Berührungen ausgetauscht, ohne mit Worten darüber zu verhandeln. Es war eine allgemein flauschige Atmosphäre und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Bei jeder kleinen Annäherung meinerseits, auf die er positiv reagiert hat, habe ich mich ein Bisschen gefreut, war aber natürlich weiterhin unsicher, wo denn nun die Grenze liegt, bis zu der er mich in seiner Nähe haben mag. Und so ging das relativ langsam (für meine Verhältnisse).

Eines Abends saßen wir also nebeneinander auf der Bank am Lagerfeuer, und kuschelten uns etwas zusammen, weil es kalt war. Und er fragte mich, so wie ich es auch schon öfter mal bei anderen Menschen gefragt habe, zum Beispiel wenn ich mir in meiner Begeisterung nicht mehr sicher war, ob ich Grenzen noch gut genug erkenne: "Wenn ich dir zu nah auf die Pelle rücke, sagst du Bescheid, ja?"
In meiner ersten Überrumpelung sagte ich "nein", habe mich dann aber, um keine Verwirrung zu stiften, sofort erklärt: "äh, also ja, ich sage Bescheid, aber nein, tust du nicht" und ich fügte in meinen Gedanken hinzu: Ich wünsche mir sogar, dass du mir noch viel näher auf die Pelle rückst - ich glaube nicht, dass mir von dir gerade irgendwas zu nah sein könnte.
(Und mal wieder ärgere ich mich darüber, dass ich mich nicht getraut habe, das Ausmaß meiner Begeisterung und Zuneigung ungefiltert zu zeigen, sondern diesen Teil des Gedankens für mich behalten habe.)
Der Abend wurde danach auch noch kuscheliger, und es war sehr schön... und ich weiß immer noch nicht, ob wir nun einfach nur beide zu schüchtern waren, um unsere gegenseitige Anziehung schneller und deutlicher zu zeigen, und es ihm vielleicht genauso ging wie mir. Die Nachfrage mit Worten war jedenfalls etwas, was mir (und ihm vielleicht auch?) Sicherheit geben konnte, bei der nonverbalen Annäherung ruhig etwas schneller sein zu dürfen. Und es war einfach schön, ihm zumindest etwas davon auch mit Worten sagen zu können, was ich mich ohne Nachfrage wohl nicht getraut hätte, einfach so zu äußern.

Am nächsten Tag fragte er mich dann irgendwann mal, ob er mich zum Knuddeln hochheben darf. Und ich sagte "ja", mit einem freudestrahlenden Lächeln. Da wurde mir noch mehr bewusst, dass so eine Nachfrage mir neben dem grundlegenden Respekt auch noch etwas anderes gibt: nämlich die Möglichkeit, einmal begeistert und ganz ohne Angst "ja" zu sagen. Und das ist ein sehr schönes Gefühl. Gerade dann, wenn ich mich sonst nicht traue, meine Zuneigung aktiv auszudrücken, gibt mir so eine Nachfrage eine gute Gelegenheit, mal etwas davon deutlich zu zeigen, und eine kurze Pause von der allgemeinen Anspannung zu haben, die so eine Ungewissheit mit sich bringt.
Denn ich habe immer noch oft Angst davor, eine gegenseitige Anziehung falsch eingeschätzt zu haben, und Ablehnung zu hart zu spüren zu bekommen, wenn ich nicht vorsichtig genug bin.

Jetzt, wo ich hier sitze und daran zurückdenke, male ich mir zwar gerne aus, wie es hätte anders sein können... ob er wohl, wenn ich da am Feuer mit aufforderndem Grinsen gesagt hätte "keine Sorge, das schaffst du eh nicht", mit "challenge accepted" reagiert und mich direkt geküsst hätte oder sowas? Ein schönes Kopfkino, aber unwahrscheinlich. Letztendlich ist das eben nur Träumerei, es ist nicht so passiert, und es ist ja auch schön, dass er so vorsichtig und respektvoll war. Und gerade deswegen bin ich für jede Nachfrage, auf die ich mit einem eindeutigen, begeisterten, herzlichen, freudestrahlenden "ja" antworten kann, sehr dankbar
Konsens ist schön. Und wahrscheinlich auch sexy. Gerade dann, wenn man eh aufeinander steht und Manche behaupten würden, dass so eine Nachfragerei dann doch nur unnötig umständlich sei.

*) das soll übrigens nicht heißen, dass es unbedingt nur einer war, sondern dass ich von diesem einen jetzt als Beispiel erzähle.

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2 Kommentare:

  1. Ein schöner Bericht und deine Gedanken zum "JA" haben mich zustimmend nicken und grinsen lassen. Danke fürs teilen. <3

    Liebe Grüße,
    Melly

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  2. Hallo Amelie,
    Ich finde es super, dass du hier auf Deutsch über ra schreibst und deine Gedanken und Erfahrungen teilst. Danke dafür!

    Ich denke auch, dass Konsent jenseits von Worten ausgedrückt werden kann.Gerade die schrittweise Annäherung, bei der ich z.B. eine Hand zum halten anbiete, finde ich gut. Allerdings, finde ich, liegt bei dieser non-verbalen Kommunikation auch die Gefahr. Ich möchte von Grenzen nicht erst erfahren, wenn ich sie überschritten habe. Ich möchte nicht nur tun, was mir die andere(n) Person(en) erlauben, sondern was sie auch explizit will/wollen.
    Da gibt es für mich auch in der verbalen Kommunikation gehörige Unterschiede. Je nachdem wie ich zu einer Person stehe, kann sich die Fragen "Darf ich dich umarmen?" sehr viel schwieriger anfühlen als "ich würde dich gerne umarmen. Was ist dein Gefühl dazu?".

    Ich hab auch bemerkt, dass mir die Möglichkeit mit Begeisterung ja zu sagen (wie du sie beschreibst) unglaublich gut gefallen. Außerdem finde ich es unglaublich cool, wenn jemand nein sagt bzw mir dazu die Möglichkeit gibt. Ich bin dann so dankbar, dass die andere Person mich davor schützt jemand zu sein der ihr Grenzen überschreitet, bzw. Mir die Möglichkeit gibt zu reflektieren was ich gerade genau möchte.

    Oh, jetzt hab ich mehr geschrieben als ich wollte.
    Auf jeden Fall, danke, dass du hier bist du schreibst!

    Mia

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